Wer ist der Chef?

Mein Boss hat eine Gummihand, erzählte ich unseren Pariser Gästen, die wir zum Abendessen eingeladen hatten, nach meinem ersten und einzigen Arbeitstag. Das französische Wort für Boss ist unser Wort für Koch, was die Geschichte noch fantastischer machte, als ich erhofft hatte. Ein Koch mit einer Gummihand. Da denkt jeder, die schmilzt ihm weg. Die Gäste beugten sich über den Tisch, unschlüssig, ob ich mich vielleicht im Wort geirrt hatte. »Dein Chef? Seit wann arbeitest du denn?« Sie wandten sich zur Bestätigung an Hugh. »Er hat einen Job?«

Offenbar in dem Glauben, ich würde es nicht bemerken, ließ Hugh seine Gabel sinken und flüsterte: »Er leistet freiwillige Sozialarbeit.« Was mich so sehr daran ärgerte, war die Art, wie er es sagte – nicht gerade heraus, sondern hintenrum, als würde ein Dreijähriger von seinem ersten Tag in der Schule erzählen und ein Elternteil leise von der Seite murmeln: »Er meint den Kindergarten.«

»Freiwillig oder nicht, ich hatte jedenfalls einen Chef«, sage ich. »Und seine Hand war aus Gummi.« Seit Stunden lief ich mit diesem Satz herum, hatte ihn sogar laut einstudiert und alle wichtigen Vokabeln im Wörterbuch nachgeschlagen. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – aber das ganz bestimmt nicht.

»Ich bin sicher, es war kein echtes Gummi«, sagte Hugh. »Vermutlich eine Art Plastik.«

Die Gäste stimmten ihm zu, aber sie hatten meinen Chef nicht gesehen und nicht mitbekommen, wie er sich unbekümmert einen Bleistift zwischen die künstlichen Finger steckte. Eine Plastikhand hätte nie so leicht nachgegeben. Eine Plastikhand hätte ein anderes Geräusch auf der Tischplatte gemacht. »Ich weiß, was ich gesehen habe«, sagte ich. »Es war Gummi, und es roch wie ein Radiergummi.«

Wenn jemand mir erzählt hätte, die Hand seines Bosses würde wie ein Radiergummi riechen, hätte ich den Mund gehalten und es gut sein lassen, aber Hugh hatte einen seiner schlechten Tage. »Wie, der Typ hat dich an seiner Hand schnuppern lassen?«

»Äh, nein«, sagte ich. »Nicht direkt.«

»Also denn, es war Plastik.«

»Moment mal«, sagte ich, »alles, was einem nicht unmittelbar unter die Nase gehalten wird, ist also Plastik? Ist das jetzt die neue Regel?« Einer unserer Vorsätze zum neuen Jahr lautete, sich vor anderen Leuten nicht zu streiten, aber er machte es einem wirklich schwer. »Die Hand war aus Gummi«, sagte ich. »Hartgummi, wie ein Autoreifen.«

»Gab’s auch ein Ventil zum Aufpumpen?« Die Gäste lachten über Hughs kleinen Scherz, und ich dachte mir meinen Teil. Eine Hand zum Aufpumpen ist albern und unsinnig. Sahen sie das nicht?

»Also bitte«, sagte ich, »ich habe das nicht irgendwo im Schaufenster gesehen. Ich war ganz nahe dran. Im gleichen Raum.«

»Schön«, sagte Hugh. »Was noch?«

»Wie, ›was noch‹?«

»Dein Sozialdienst. Dein Boss hatte also eine künstliche Hand – was noch?«

Ich muss dazu sagen, dass es nicht einfach ist, in Paris freiwillige Sozialarbeit zu machen. Die Regierung bezahlt lieber jede Art von Tätigkeit, ganz besonders in einem Wahljahr, und als ich bei der Caritaszentrale nachfragte, konnten sie mir nur einen Eintagesjob anbieten, der darin bestand, Blinde beim Gang durch eine der Pariser Metrostationen zu begleiten. Das Hilfsangebot wurde von meinem Chef geleitet, der in einem winzigen, fensterlosen Raum gleich neben dem Fahrkartenschalter sein Büro eingerichtet hatte. Es war nicht meine Schuld, dass keine Blinden aufgekreuzt waren. »Jetzt hör mal gut zu«, sagte ich. »Ich habe sechs Stunden unbeachtet neben einem Mann mit einer Gummihand gesessen. Und da fragst du, ›was noch‹? Was brauche ich denn, bitte schön, noch?«

Unsere Bekannten blickten irritiert, und mir ging auf, dass ich Englisch gesprochen hatte.

»Auf Französisch«, sagte Hugh. »Sag es noch einmal auf Französisch.«

Es war eine der Situationen, in der einem der Unterschied zwischen sprechen und sich ausdrücken deutlich wird. Ich kannte die Vokabeln – Blinde, Wahljahr, Lagerraum –, aber selbst verbunden durch Verben und Pronomen ergaben sie nicht das, was ich brauchte. Auf Englisch konnte ich mit meinen Sätzen problemlos eine doppelte Aussage vermitteln, nämlich dass ich mich um eine Sozialarbeit beworben hatte und dass Hugh es bereuen würde, nichts von der einzig wirklich interessanten Geschichte hören zu wollen, die ich seit unserem Umzug nach Paris erlebt hatte.

»Vergiss es«, sagte ich.

»Wie du meinst.«

Ich stand vom Tisch auf, um mir ein Glas Wasser zu holen, und als ich wiederkam, redete Hugh über den Klempner, Monsieur DiBasio, der bei uns im Bad ein neues Waschbecken installiert hatte.

»Er hat nur einen Arm«, erklärte ich unseren Gästen.

»Nein, hat er nicht«, sagte Hugh. »Er hat zwei.«

»Ja, aber ein Arm ist taub.«

»Okay, aber trotzdem hat er ihn«, sagte Hugh. »Er ist da, und er füllt einen Ärmel aus.«

Er macht das ständig, mir vor anderen Leuten zu widersprechen. Also machte auch ich, was ich immer tue, und stellte ihm eine Frage, ohne ihm die Möglichkeit zur Antwort zu geben.

»Was bedeutet denn Arm für dich?«, fragte ich. »Wenn du damit das lange, behaarte Ding meinst, das von deiner Schulter baumelt, okay, davon hat er zwei, aber wenn du von einem langen, behaarten Ding sprichst, das sich bewegt und tatsächlich auch etwas macht, hat er nur einen, hab ich Recht? Ich muss es schließlich wissen. Ich bin derjenige gewesen, der das verdammte Waschbecken drei Stockwerke hoch geschleppt hat. Ich, nicht du.«

Die Gäste machten einen leicht betretenen Eindruck, aber das kümmerte mich nicht. Technisch gesehen, da hatte Hugh Recht, hatte der Klempner zwei Arme, aber wir waren hier nicht im Gerichtssaal, und man musste für eine kleine Übertreibung nicht gleich ermahnt werden. Die Leute sind dankbar für ein starkes geistiges Bild. Es regt ihre Vorstellungskraft an, und sie müssen nicht bloß zuhören. Hatten wir das nicht alles schon? Anstatt mich zu unterstützen, hatte er mich vor aller Augen zum Lügner gemacht, und, oh, wie ich ihn dafür hasste.

Nachdem er meine Glaubwürdigkeit im Hinblick auf den einarmigen Klempner untergraben hatte, konnte man die Geschichte mit der Gummihand praktisch vergessen. Die Gäste dachten nicht einmal mehr an Plastik, sondern nur noch an eine tatsächlich arbeitende Hand aus Fleisch, Knochen und Muskeln. Das geistige Bild war ausradiert, und sie würden nie verstehen, dass eine Hand mehr durch ihre Bewegung als durch ihre Form bestimmt wird. Die des Chefs hatte Fingernägel und Falten – vermutlich hätte man ihm sogar aus der Hand lesen können –, aber sie war rosa und ziemlich steif wie eine künstliche Hand, mit der ein Dompteur einem gefährlichen Tier beibringt, sich zu rühren. Ich weiß nicht, wie und wo sie befestigt war, aber ich bin mir ziemlich sicher, er konnte sie ohne große Probleme abnehmen. Als ich mit ihm in dem kleinen Raum saß und auf die Blinden wartete, die nicht kamen, stellte ich mir vor, wie die Hand auf dem Nachttisch aussah, wenn er sie dort ablegte. Es machte vermutlich keinen Sinn, sie auch im Schlaf zu tragen. Das Ding war nicht besonders hilfreich; die Finger ließen sich nicht strecken und beugen. Es war nur ein Stück Kosmetik, wie eine Perücke oder falsche Augenwimpern.

Die Unterhaltung bei Tisch schleppte sich dahin, aber der Abend war gelaufen. Jeder konnte das sehen. In ein paar Minuten würden die Gäste auf die Uhr sehen und von dem Babysitter daheim anfangen. Die Mäntel würden geholt, und wir würden im Flur stehen und die Gäste nacheinander verabschieden und sie die Treppe hinuntersteigen sehen. Anschließend würde ich den Tisch abräumen und Hugh das Geschirr abwaschen, ohne dass einer von uns auch nur ein Wort sagte, und wir würden beide überlegen, ob dies das Ende wäre. »Ich habe gehört, ihr habt euch wegen einer Plastikhand getrennt«, würden die Leute sagen, und meine Wut würde erneut hochkommen. Der Streit würde weitergehen, bis einer von uns starb, und selbst dann wäre er noch nicht vorbei. Träfe es mich zuerst, stünde auf meinem Grabstein: ES WAR GUMMI. Hugh würde mit Sicherheit das Grab daneben erwerben und auf seinen Grabstein setzen lassen: NEIN, ES WAR PLASTIK. Tot oder lebendig hätte ich keinen Frieden, und so ließ ich die Sache ruhen, wie man es macht, wenn man immer nur den Kürzeren ziehen kann. In den folgenden Wochen stellte ich mir vor, wie die Hand jemandem zum Abschied winkte oder in die Luft schoss, um ein Taxi anzuhalten, und alle die anderen Dinge machte, die auch meine Hand tat. Hugh fragte, weshalb ich lächelte, und ich sagte: »Ach, nichts«, und redete nicht mehr davon.